Erbschaftsteuer-Freibetrag für das Kind eines zivilrechtlich als verstorben geltenden Elternteils
von Björn Keller
Der zivilrechtlich wirksame Verzicht eines Kindes gegenüber einem Elternteil auf den gesetzlichen Erbteil bewirkt nicht, dass dessen Kind, also dem Enkelkind des Erblassers, der Freibetrag zu gewähren ist, der im Falle des Versterbens des Kindes zu gewähren wäre. Die Fallgruppen "Kinder tatsächlich verstorbener Kinder" und "Kinder von als fiktiv verstorben geltenden Kindern" werden nicht gleichgesetzt. Das Erbschaftsteuerrecht folgt insoweit nicht der Fiktion des Zivilrechts. Der Enkel des Erblassers erhält in diesem Fall nicht den Freibetrag in Höhe von 400.000 €, sondern nur einen Freibetrag in Höhe von 200.000 €. Der Verzicht auf den gesetzlichen Erbteil eines Abkömmlings kann somit nicht als Steuersparmodell für die Enkel des Erblassers genutzt werden. So entschied der Bundesfinanzhof in seinem Urteil vom 31. Juli 2024 (II R 13/22). Im Streitfall hatte der Vater des Klägers gegenüber seinem eigenen Vater vertraglich auf sein gesetzliches Erbrecht verzichtet. Zivilrechtlich galt der Vater daher als verstorben. Somit hatte er auch keinen Anspruch auf einen Pflichtteil nach § 2346 Abs. 1 BGB. Als der Erblasser (Großvater des Klägers) verstarb, wurde der Kläger gesetzlicher Erbe. Er beantragte beim Finanzamt, ihm für die Erbschaft einen Freibetrag in Höhe von 400.000 € zu gewähren. Das Finanzamt gestattete dem Kläger aber nur einen Freibetrag in Höhe von 200.000 €. Dieser Freibetrag steht ihm als Enkel zu, da sein eigener Vater zwar auf seinen gesetzlichen Erbteil verzichtet hatte, aber beim Versterben des Großvaters noch am Leben war (§ 16 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG). Die Klage vor dem FG sowie die Revision beim Bundesfinanzhof hatten keinen Erfolg. Mit Verweis auf den Wortlaut des § 16 Abs. 1 Nr. 2 Alternative 2 ErbStG, der unter den dort genannten Umständen den höheren Freibetrag von 400.000 € gewährt, stellt der Bundesfinanzhof den Sachverhalt klar. Demnach werden als Empfänger des höheren Freibetrags die Kinder verstorbener Kinder benannt. Lediglich zivilrechtlich als verstorben geltende Kinder werden nicht aufgeführt. Die erbschaftsteuerrechtlichen Freibetragsregelungen sollen die Abkömmlinge der ersten Generation (Kinder) begünstigen. Bei den Enkeln sieht der Gesetzgeber die familiäre Verbundenheit nicht als so eng, daher die Festlegung eines geringeren Freibetrages von 200.000 €. Nur für den Fall, wenn die eigene Elterngeneration vorverstorben ist, sieht der Gesetzgeber die Großeltern für das Auskommen der verwaisten Enkel in der Pflicht und gewährt diesen den höheren Freibetrag von 400.000 €. Die Ausdehnung des höheren Freibetrags auf Kinder, deren Eltern nur vom Gesetz als verstorben angesehen werden, die aber tatsächlich bei Tod des Großelternteils noch leben, ist vom Gesetzgeber nicht gewollt. Er geht davon aus, wenn der Abkömmling des Erblassers noch lebt, er weiterhin für die finanzielle Ausstattung seines Kindes sorgen kann. Außerdem kann in diesem Fall das Enkelkind beim Tod seines Elternteils testamentarisch erben und dann seinen eigenen Freibetrag als Kind in Höhe von 400.000 € (§ 16 Abs. 1 Nr. 2 Alternative 1 ErbStG) in Anspruch nehmen. Würde gleichzeitig dem Enkel eines zivilrechtlich als verstorben geltenden Elternteils auch der höhere Freibetrag bei Ableben eines Großelternteils gewährt, wäre das eine legale Steuerumgehungsmöglichkeit in Gestalt einer Doppelbegünstigung. Diese ist vom Gesetzgeber keineswegs gewollt und insofern ist die Regelung auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Dipl.-Kfm. Björn Keller, Steuerberater, Chemnitz